Irene Lohmann, geb. Freitag, Jahrgang 1917, geboren in Bromberg. Elternhaus: Spellener Straße 102, seit der Heirat Frankfurter Straße 40, Wesel.

1921, nach einem Jahr Flüchtlingslager, landeten wir mit vielen Anderen in Friedrichsfeld, mit sechs Bromberger Familien und drei aus dem Elsass hatten wir das Glück, eine Wohnung in der „Alten Kommandantur" zu bekommen. Die Kommandantur bestand aus einem Einzelhaus mit dem Rücken zum Park, dem Parallelgebäude (9 Familien) zur B 8, dazwischen eine Auffahrt und einem zweiten langen Gebäude. Im Winkel an letzteres schloss sich ein längerer Stalltrakt an. Die Rückseite verlief längs des Weges zum Bauhof (heute „Blumenanger").

bromberg

In dem zweiten Gebäude war belgische Besatzung untergebracht. Die Soldaten machten keinerlei Schwierigkeiten. Am Ende der Stallungen machte uns Kinder ein kleiner Hügel mit schwerer, liegender Eisentür neugierig. Wir erfuhren, dass es der Munitionsbunker sei. Dann waren westlich der B 8 noch drei Geschäfte, darunter die Drogerie Ihrer Eltern. Gegenüber der Kommandantur stand ein Holzhaus (?) mit Veranda und kleinem Park, 2 Etagen hoch. Hier wohnte der Lippsche Gutsverwalter Kraußhaar mit Haushälterin, Tochter und Sohn. Später Major a.D. Friedrich, dessen Tochter Lehrerin an der evangelischen Volksschule hier war. Mit Abstand hinter diesem Haus befand sich der „Sickerteich", eine gefüllte (Fäkalien)Grube mit Trennmauer, zwei weitere, die ich eigentlich nur leer kannte. Weiter südlich lag, von Stacheldraht umzäunt, das ehemalige Munitionslager (Laboratoriumstrasse), wo Familie H. eine vorläufige Unterkunft fand. Südlich der Alten-Hünxer­Straße lag der Truppenübungsplatz, Schützengräben entlang der B 8, dahinter Flugsandflächen bis zu den Testerbergen. Als Beobachtungspunkt und einzige Erhebung, der Tannenhügel, an dem später ein Sportplatz angelegt wurde mit einer Umzäunung von etwa 2 mtr. Höhe aus Grassoden. (Nur auf der Nordseite, die anderen Seiten waren mit einem einfachen Drahtzaun geschützt). Zwischen der Alten-Hünxer-Straße und dem jetzigen Waldfriedhof (damals ehemaliger Schießstand des Militärs) wurde eine Steinfabrik erstellt, ein Schienenstrang mit Kipploren bis zum Schießstand schaffte Kies aus einer Grube heran.

Wenn ich mich recht erinnere, wurden die Häuser am Eichenweg damit erbaut. Auf der Westseite der B 8 befanden sich in der Heide Betonbehälter von 8 - 10 Meter Durchmesser. Sie sollen Löschwasser beinhaltet haben. Wer hätte damals an die Firma Babcock gedacht? Einer tat es, der Dr. Schlichthar. Er schrieb nicht nur „Der Graf von Heidelust", sondern auch das Theaterstück „Die Kesselwerke von Friedrichsfeld" mit einem Engländer als Hauptperson. Er selbst war eine bekannte Persönlichkeit, bekannt sein Motorrad, die Lederbekleidung samt Lederhaube und Schutzbrille. Bei Krankenbesuchen an langen Arbeitstagen verpflegte er sich selbst, denn in jedem ländlichen Haus waren Wurst und Schinken an gleichen Stellen zu finden. Andere Persönlichkeiten am alten Eichenweg waren die Familien Füller und von Lassow, (von Lassaulx) sowie Amtsrichter Griesel in dem rötlichen Haus am Parkeingang. Letzterer hatte eine Tochter in meinem Alter. (Füller und von Lassaulx waren zu der Zeit die Geschäftsführer der „Siedlungsgesellschaft für den Kreis Dinslaken).

Dem Parkeingang gegenüber lag das Offizierskasino. Mit Eingang in Richtung Park war es zur katholischen Kirche ausgebaut. Die evangelische Kirche wurde im Mannschaftsheim eingerichtet, wo sie sich nach Um- und Ausbauten noch heute befindet. Friedrichsfeld (das alte Truppenlager) hatte damals 3 Tore mit je zwei Pfeilern. Eines steht noch heute an der B8, Eingang Parkstraße. Das 2., wo die Wilhelmstraße in die Poststraße mündet. Rechts davon stand ein hohes Gebäude, die Schmiede des Herrn D..... Später hing daran ein Schild „Karl Liebknecht-Haus".

Das 3. Tor bildete den Eingang zum Barackenlager an der Bülowstraße. Ich kann mich noch an die Lagermitte erinnern, wo eine große Pumpe stand, rechts die Wirtschaft Klar und links der Gemüseladen G. (Gerards). Auf dem freien Platz gab einmal, ich weiss nicht mehr aus welchem Anlass, das Rote Kreuz Kakao und Brötchen für die Kleinen aus.

Schulen: Die alte Dorfschule mit der Wohnung des Rektor Schneiders lag an der Frankfurter Straße. Am Ende des Schulhofes lag ein neues Gebäude. Weiter auf der Böskenstraße lag die katholische Schule. Die Flüchtlingskinder wurden zunächst behelfsmäßig in einer großen Baracke gegenüber Kretschmer (ehemaliges Unteroffizierskasino) untergebracht. Am Kopfende war eine Arrestzelle abgeteilt, selten belegt. Die Toiletten befanden sich am entgegen liegenden Ende des Schulhofes. Aber bald platzten alle Schulen aus ihren Nähten. Die Heideschule wurde gebaut und 1929 (richtig ist 1930) von den beiden Konfessionen eingeweiht. Sie wurde für die Firma Babcock die spätere Lehrlingswerkstatt.

Die Siedlungsgesellschaft hatte einen Lagerplatz von den Gärten der Kommandantur bis etwa zum Bauhof, umgeben von etwa einem 2 mtr. hohen Bretterzaun. Zu unserer Seite, auf einem hohen Stahlgerüst, befand sich eine große Kugel (Wasserturm) und Wasserpumpe. Zur Kommandantur führte eine Leitung mit einem Wasserkran zwischen den beiden langen Gebäuden. Daran versorgten sich alle Familien mit Trink- und Waschwasser, eimerweise.

Mein älterer Bruder hat (im zweiten Weltkrieg) unsere alte Heimat und Geburtsstadt (Bromberg als einziger) von uns vier Kindern wieder gesehen. Zurückschauend muss ich sagen, für meine älteren Geschwister war die Umstellung wohl am schwersten. Herausgerissen aus Schulen und Umgebung, hier beschimpft mit dem Wort „Pollaken". Für sie unverständlich, denn unsere Heimat (Westpreußen) war evangelisch. Nur die wenigen Polen waren katholischer Konfession und man lebte gut miteinander. In unserem Hause lebte auch ein Pole.

Als meine Eltern (1920 - nach dem Ersten Weltkrieg) die Annahme der polnischen Staatsbürgerschaft verweigerten, wurden wir, wie viele Tausende, ausgewiesen. Möbel, aber kein Luxus wie z.B. das Klavier, durften wir mitnehmen. Die Verpackungskisten wurden von Kontrolleuren durchsucht und dann versiegelt. Unser Kontrolleur war der Pole aus unserem Haus. Er versiegelte alles unbesehen und ein langer Zug brachte uns dann, anstatt nach Westen, in ein ehemaliges Gefangenenlager (aus dem Ersten Weltkrieg) für Russen nach Ostpreußen. Für meine Kinder habe ich auf 60 Seiten alle Details der Familiengeschichte für die Zeit nach meinem Tode aufgeschrieben.

Doch ich muss sagen, was wir erlebt haben ist nur ein winziges Teilchen dessen, was im Zweiten Weltkrieg unsere Verwandten aus Ostpreußen und Pommern, woher unsere Eltern stammen, durchleiden mussten, auch wenn ihnen die Flucht gelang.

Eine schöne Episode aus dem Zweiten Weltkrieg möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Mein Mann lag in Tessenderlo (Belgien) bei einer Familie Stevens in Privatquartier. Der Name ist bei den Flamen wohl häufig, denn ihn trug auch einer unserer belgischen Besetzer (nach dem Ersten Weltkrieg). Die Quartierwirts-Schwiegertochter musste sich einer schweren Operation unterziehen. Mein Mann half mit dem größten Teil seiner (Soldaten)Verpflegung, dass die junge Frau überlebte und sich erholte. 1948/49 erkundigte sich die belgische Familie bei der Polizei in Wesel nach unserem genauen Wohnort. Damals leitete Herr Steg, (Polizist aus Friedrichsfeld) der uns kannte, die Dienststelle. Mit einem Streifenwagen voraus wurden die Belgier hierher zu uns geleitet. Ihr Lob für die deutsche Polizei war überschwenglich. Seit dieser Zeit gehen Besuche hinüber und herüber und, seit unsere Männer verstorben sind, Briefe.

Auch unser Friedrichsfelder Stevens hat seine Wurzeln in Belgien.

Abschrift eines Briefes von Frau Irene Lohmann, Wesel.
Der Brief wurde im September 1998 geschrieben. Frau Lohmann ist am 16. Dezember 2005 verstorben. Die kursiv geschriebenen Worte und Hinweise sind Ergänzungen von Karl Göllmann, an den der Brief gerichtet war. 

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