Die Mutter Anneliese starb vermutlich als Klaus (Klaus - Dieter Schulz, geboren 1943) etwa ein Jahr alt war. (Manche Angaben sind geschätzt! Klaus war zu jung. Niemand (auch nicht seine Brüder) hat ihm gesagt, ob seine Mutter nach seiner Geburt starb, oder ob sie doch noch ein Jahr gelebt hat.)
Als Baby war Klaus bei seiner Oma (Mütterlicherseits) untergebracht. Oma war die Beste! Sie hieß: Emma Schiller. Manchmal war Klaus auch bei der noch unverheirateten Tante Trautchen untergebracht. Tante Trautchen war eine Schwester von Klaus Mutter. Sie lebten damals alle an der Ostsee in Mecklenburg – Vorpommern. Die Oma war arm, doch vom Staat bekam sie Geld, wenn sie die drei Brüder Wolfgang, Hubert und Klaus zu sich nahm. Der Vater von Klaus, Hubert und Wolfgang war zu dieser Zeit in russischer Gefangenschaft. Als der Vater wieder in Deutschland war, dachte er vermutlich, seine Familie gäbe es nicht mehr. Somit hat er zunächst niemanden gesucht, sondern heiratete eine Frau, die 15 Jahre jünger war als er.

schulz 1Als Klaus 4 Jahre alt war, kam er in ein Kinderheim. Eine der Betreuerin hatte Klaus besonders gern. Er durfte einmal bei ihr im Bett schlafen (vermutlich hatte der kleine Kerl Angst vor Blitz und Donner). Diese Betreuerin war lieb zu Klaus. Er vergaß sie nie. Das geschah alles in dem Kinderheim: Das Sachsenhaus. Neben dem Sachsenhaus war ein Kinderheim für etwas ältere Kinder. Das Kinderheim hieß: „Das Haus der fröhlichen Kinder." Gral Müritz hieß der Ort, in dem die Kinderheime standen.

Klaus erzählte: „Im Kinderheim war es nicht übel. Schlimm war nur die Einheitskleidung! Egal, - ob Mädchen oder Jungen, alle trugen Strümpfe mit Strapse und Schürzchen. Außerdem hatten wir Kinder ständig Hunger. Es gab nie genug zu essen."

(Das Bild zeigt Klaus im Jahre 1962)

Manchmal besuchten die Brüder Wolfgang und Hubert ihren kleinen Bruder Klaus. Wenn Klaus ein Brot mit Marmelade hatte, so fragte Wolfgang: "Klausi, lässt du mich mal beißen?" Klaus reichte seinem Bruder das Brot. Zurück bekam er aber nur noch die Rinde. Später konnte Klaus darüber lachen, aber damals hatte er sich doch sehr über seinen Bruder gewundert. Böse war er ihm aber nicht, denn er liebte seinen Bruder zu sehr und er wusste bereits, das Hunger sehr weh tat.

Einmal im Jahr bekamen die Kinder, die noch Eltern hatten, unglaublich viele Süßigkeiten. Diese Eltern hatten ihre Kinder im Heim abgegeben, weil im Krieg ihre Häuser zerstört wurden. Manche Eltern hatten keine Arbeit. Trotzdem bekamen diese Kinder viel mehr Süßigkeiten als die Kinder, die als Vollwaisen ihre Zeit im Kinderheim verbrachten.
Das Weihnachtsfest stand vor der Tür und vielleicht erinnerte sich Klaus gerade deshalb ziemlich genau daran, dass er zwar auch eine Tüte mit Süßigkeiten bekam, aber bei weitem nicht solche Massen wie die Kinder, deren Eltern noch lebten. Die Heimleitung sorgte dafür, dass Kinder wie Klaus überhaupt etwas abbekamen.
Natürlich herrschte da Neid unter den Kindern. Die Küche des Kinderheimes befand sich im Keller. Am Küchenfenster bettelten die Kinder die Küchenhilfen an, ihnen doch die Brotkanten zu geben. Eigentlich kamen die Brotreste in die Suppe, doch die Frauen in der Küche hatten Erbarmen und gaben öfter mal Brotreste ab.

Als Klaus 6 Jahre alt war, kam er in die Lessingschule nach Bad Doberan. Da lebte er wieder bei seiner geliebten Oma. Sie nahm den Jungen wieder zu sich. Die Oma war arm, doch sie wusste, wie sie sich über Wasser halten konnte. Ihre Rente betrug damals 60 DM im Monat. Klaus musste Schlüsselblumen pflücken.
Die Blümchen musste er vor der Haustüre der Oma verkaufen. Für ein Sträußchen Blumen wollte die Oma 50 Pfennig haben. Die Oma sammelte auch Pilze im Wald und diese verkaufte sie an betuchte Leute. Dies geschah alles in Bad Doberan. Die Oma bewohnte nur ein Zimmer, doch daraus konnte man bequem vier Zimmer machen. Sie hatte einen großen Kachelofen mit einer gemauerten Sitzfläche drum herum. Klaus erinnerte sich, dass der Kachelofen wunderschön war und außerdem war es angenehm warm dort.
Klaus erinnerte sich auch: „Es war Winter. Der Schnee lag hoch. Die Oma war krank. Sie hatte eine Gesichtsrose." Die Kinder Wolfgang, Hubert und Klaus wurden nach draußen geschickt. Mit eiskalten Händen kamen sie wieder herein. Dann mussten die Jungs ihre Hände auf Omas Gesicht legen. Das kühlte ihr Gesicht schön. Klaus hatte dies nie vergessen.

Mit etwa 7 Jahren kam Klaus in das Kinderheim Kühlungsborn. Hier verbrachten die Kinder ihre freie Zeit am Strand. Klaus erinnert sich, dass es eine sehr schöne Zeit war. Er war tatsächlich ganz gern im Heim. Er hatte ja nie erfahren, wie es ist, wenn man Vater und Mutter hat. Daher vermisste er ein Familienleben nicht.

Klaus war immer noch 7 Jahre alt, da wurde er adoptiert. Die Kinder im Kinderheim mussten sich vor den Interessenten aufstellen und dann wurden sie beäugt. Ein Ehepaar hatte sich Klaus ausgesucht. Die Frau war sehr nett zu Klaus, doch der Mann, der ein Bauer war, war gemein und brutal. Der Siebenjährige landete also auf einen Bauernhof.
Klaus konnte den Namen des Hofes nie vergessen. Der Hof hieß: - Bauernhof Büttnerei Nr. 3 - Auf dem Hof gab es einige Tiere. Da waren 3 Kühe, 1 Pferd mit dem Namen Peter, 6 Schafe, 20 Hühner, Gänse und Enten.
Der Bauer musste einen Teil seiner Ernte an den Staat abgeben. Er konnte aber so viel für sich behalten, dass er und seine Frau gut leben konnten. Bei dem Bauern musste niemand hungern. Klaus durfte weiterhin zur Schule gehen, doch nach der Schule musste der Junge unglaublich viel arbeiten. Da war zum Beispiel ein Schafstall, in dem der Mist schon einen Meter hoch stand. Klaus musste diesen fest gestampften Mist - Schicht für Schicht ausmisten. Er brauchte dafür mehrere Tage. Einmal bekam Klaus zwei Kaninchen und einen Schafsbock geschenkt. Wenn er Freizeit hatte, spielte er mit seinen Tieren. Das war allerdings selten. Klaus erinnert sich: „Einmal konnte ich mein Mittagessen nicht aufessen, weil mir total schlecht war. Der Bauer hat mich dafür schlimm verprügelt. Überhaupt schlug der Bauer mich sehr oft und ich glaube auch gern."

schulz 2Wenn Klaus aus der Schule kam, so musste er die Kühe hüten. Die Kühe waren zwar eingezäunt, doch konnten sie trotzdem weglaufen, denn der Zaun hatte kein Tor. Einmal war der Bauer und seine Frau weggefahren. Genau an diesem Tag besuchten die Brüder Wolfgang und Hubert ihren kleinen Bruder Klaus. Klaus war überglücklich, als die Brüder bei ihm auftauchten. Die Brüder lebten zu dieser Zeit immer noch in dem Heim „Zum Haus der fröhlichen Kinder" in Gral Müritz.
Der große Bruder wollte seinem kleinen Bruder helfen und er verschloss die große Lücke im Zaun mit einem Stock und mit Draht. All dies stand nun voll auf Spannung. Die Kühe waren nun sicher eingesperrt. Klaus konnte mit seinen Brüdern unbeschwert Spaß haben oder im Gras liegen und träumen. Als der Bauer am Abend die Kühe in den Stall bringen wollte, sah er sich den Zaun genau an und schrie Klaus an: „Den Zaun hast du doch niemals alleine repariert! So viel Kraft hast du doch gar nicht!" Klaus antwortete: „Nein, ich war das nicht. Mein großer Bruder war das. Ich hatte heute Besuch von meinen Brüdern." Der Bauer war wütend und wollte nun den Draht schnell lösen. Er bedachte nicht, welche Spannung auf dem Stock und dem Draht war. Er schlug sich den Stock vor sein Auge. Nun war das Auge blau. Ein richtig schmerzvolles Veilchen hatte der Bauer davon getragen. Klaus hätte am liebsten laut und schadenfroh gelacht, doch er musste sich sogar ein Schmunzeln verkneifen.

Der Bauer besaß ein riesiges Pferd namens Peter. Peter war ein gewaltiges Warmblut. Der Gaul war sich seiner Kraft und Größe anscheinend voll bewusst. Eines Tages drehte Peter durch. Er packte mit seinen Zähnen den kleinen Klaus am Schlafittchen. Dann hob der Gaul den Jungen einfach hoch und wirbelte ihn durch die Gegend. Klaus schlug, obwohl er große Angst hatte, dem Gaul auf die Nase. Da ließ der Gaul ihn fallen. Der Bauer hatte zugesehen und lachte.
Dann rief er: ,,Der Peter wollte dir nur einmal zeigen, dass er der Chef ist und nicht etwa du!" Klaus musste auch weiterhin mit Peter auf dem Feld arbeiten. Klaus wollte dem Pferd am liebsten etwas antun, obwohl er Tiere sonst so gerne hatte. Doch dieser Gaul war genauso unberechenbar wie der Bauer. Wenn Klaus das Pferd zum Feld führte, stellte er sich nun immer extra auf die Egge, damit das Pferd sich noch mehr anstrengen musste und das ziehen zusätzlich erschwert wurde. Doch das merkte Peter gar nicht.

Die Bäuerin hatte Klaus sehr gern. Darum schenkte sie ihm heimlich eine Uhr. Wenn die Bäuerin die Kühe gemolken hatte, stellte sie die Milch abgedeckt in die Küche. Am nächsten Tag schöpfte sie den Rahm ab und sie und der kleine Klaus machten dann aus dem Rahm im Butterfass Butter. Übrigens wurde die Bäuerin auch von ihrem Mann geschlagen. Das war auch der Grund, warum sie den Jungen nie vor den harten Schlägen des Bauern beschützen konnte. Sie hatte selbst große Angst vor ihrem Ehemann.
Das Schlimmste an was sich Klaus erinnert war: „Der brutale Bauer nahm einmal den Stiel einer Spitzhacke und mit diesem Stiel schlug er unerwartet und kraftvoll auf meinen Rücken. Ich dachte der Kerl hätte mir das Kreuz gebrochen. Was hatte ich angestellt, dass solche Qualen rechtfertigte? Ich weiß es nicht mehr. Ich hatte doch viel zu viel Angst, um irgend etwas Schlimmes anzustellen!"

Dann kam endlich der Tag, an dem der Bauer zum Markt nach Bad Doberan wollte. Klaus fragte, ob er mitfahren könne, denn er wollte so gern seine Brüder besuchen. Der Bauer nahm ihn tatsächlich mit. Klaus rannte aber nicht zu seinen Brüdern, sondern zu seiner Oma.
Er klagte ihr sein Leid. Klaus rief verzweifelt: „Ich geh nicht mehr zurück zu dem brutalen Bauern!" Vermutlich sah die Oma die blauen Flecke am Körper des Kindes. Klaus durfte bei der Oma bleiben. Kurz darauf war die Oma wieder einmal im Wald Pilze sammeln und Klaus war allein zu Hause. Der brutale Bauer kam unerwartet und plötzlich zu Oma Schillers Wohnung. Der Bauer rief: „Klaus komm raus. Komm mit nach Hause!" Klaus war einer Ohnmacht nahe. Er versteckte sich in einer Ecke des Zimmers und gab keinen Mucks von sich. Der Bauer traute sich nicht in das Haus, denn die Oma hätte ja auftauchen können. Klaus sah den brutalen Bauern nie wieder. Der Junge hatte drei Monate bei dem brutalen Bauern und seiner Frau gelebt. Wäre Klaus auf dem Bauerhof geblieben, so hätte er später einmal den Bauernhof geerbt. Allerdings nur dann, wenn Klaus die nächsten Jahre überlebt hätte. Dem Bauern hatte man im Krieg sein Geschlechtsteil weggeschossen. Deshalb hatte das Ehepaar keine eigenen Kinder. Vielleicht war der Bauer deshalb so hart und brutal. Er hatte gelitten und nun mussten alle, die mit ihm zu tun hatten, auch leiden. Welche Idiotie!

Oma Emma Schiller wohnte immer noch in Bad Doberan aber nun nicht mehr in dem großen Zimmer in der Nähe der Lessing Schule. Jetzt wohnte sie in einem verfallenen Wohnhaus. Hier wohnte sie oben auf dem Söller in einem winzigen Zimmer. Eine Frau mit ihrer Tochter wohnte auch auf dem Söller. Der Söller war so eingeteilt, dass jeder ein kleines Zimmer für sich hatte. Manchmal spielte Klaus mit dem netten Mädchen, welches auch da wohnte.
Als Oma Schiller einmal wieder Pilze suchen ging, wurde sie von einer Kreutzotter (das ist die einzige giftige Schlange, die wir in Deutschland haben) gebissen. Die Oma fiel nach dem Biss um und schlief etwa zwei Stunden lang. Als sie wieder erwachte, ging sie nach Hause, als sei nichts passiert. Klaus sah sich die Bisswunde an und erkannte deutlich, dass es ein Schlangenbiss war. Kinder, alte Menschen oder Menschen die einem Herzfehler haben, hätten von dem Biss der Kreuzotter sterben können. Die Oma war aber - Gott sei Dank - in guter Verfassung. Wenn Oma auf dem Rückweg aus dem Wald war, suchte sie stets die Schienen, auf denen der Bummelzug Molly fuhr, nach überfahrenen Feldhasen ab. Nur wenn die Hasen noch warm waren, nahm die Oma sie mit, zog sie ab und dann wurde der Hase gebraten.

Übrigens, die Schienen (Länge ca. 12 km), auf denen der Molly (Bummelzug) fuhr, gingen nur von Bad Doberan, nach Heiligendamm und bis zur Endstation Kühlungborn und dann wieder zurück.

Die Oma war auch eine bekannte Kartenlegerin. Sie machte das richtig professionell. Klaus wollte seiner Oma immer helfen. Sie schickte ihn oft los, um richtigen Bohnenkaffee zu kaufen.
100g Kaffee kostete damals 10 DM - Ost ( Ostmark).
Die Oma wusste genau, wie sie ihre Kunden beeindrucken konnte. Sie bot jedem Kunden eine Tasse Kaffee an. Eine Tasse Kaffee (erster Aufguss) kostete 2 DM - Ost. Der zweite Aufguss war wesentlich billiger. Etwa 50 Pfennig. Für die Kunden, lass die Oma auch etwas aus dem Kaffeesatz. Dafür bekam sie immer nur ein paar Groschen. Manchmal bekam sie sogar einen Pfennigschein. Ja, so etwas gab es damals. Ein frisches Brötchen kostete damals 6 Pfennig.

Das war ungefähr 1948 — 1950. Wenn die Kunden kamen, schickte die Oma ihren Enkel Klaus immer runter zum Spielen. Er durfte nie dabei sein, wenn Oma Kunden hatte.
Dann ging Klaus die Schienen absuchen. Er suchte aber nicht nach überfahrenen Hasen, sondern er sammelte in seinem Bollerwagen Kohlestückchen. Klaus ging immer da hin, wo der Molly beladen wurde mit Wasser, Holz und Kohle. Beim Beladen fielen Kohlestückchen herunter oder vielleicht wurde manchmal auch mit Absicht Kohlenstücke daneben geworfen. Jeder Arbeiter auf der Molly wusste ja wie hart die Nachkriegszeit war und da half so manch einer, wo er nur konnte. Die Oma freute sich sehr, wenn Klaus die Kohlen brachte. Konnte sie doch so bestimmt 2 Tage Heizen und es kostete gar nichts. Klaus glaubt sich zu erinnern: Oma Emma Schiller hatte einen Sohn und vier Töchter. Einer der Schwiegersöhne hieß Gerd Hühnermörder. Es kam vor, dass die Oma nichts (oder nur sehr wenig) zu Essen hatte. Der Schwiegersohn mit dem unglaublichen Nachnamen besorgte der Oma dann Kaninchenköpfe. Oma kochte die Köpfe und Oma sowie auch Klaus aßen davon. Klaus meint sich zu erinnern, dass es sogar sehr gut geschmeckt hat. Der einzige Sohn von Oma Schiller starb mit etwa 30 Jahren an einer Pilzvergiftung. Dieser Sohn hieß mit Vornamen Klaus und er war der Onkel vom kleinen Klaus.

Der kleine Klaus wurde also nach seinem Onkel benannt. Eine Tochter von Oma Schiller war Tante Trautchen. Dann war da noch Anneliese, die Mutter von Klaus, Wolfgang und Hubert.
An die Namen der zwei anderen Tanten konnte sich Klaus nicht mehr erinnern.
Die Oma wurde irgendwann krank und Klaus musste wieder ins Kinderheim zurück. Im Kinderheim in Kühlungsborn lebte Klaus bis er 10 Jahre alt war. Die Betreuerin, die Klaus als er 4 Jahre alt war, bei sich im Bett schlafen ließ, arbeitete immer noch da. Sie war auch weiterhin sehr lieb zu Klaus. Sie schenkte Klaus zum Abschied einen silbernen Ring mit einem großen blauen Stein darauf. Klaus sagte eines Tages zu der lieben Betreuerin: „Ich komme bald wieder!"
Die Frau wusste aber, dass sie den kleinen Burschen vermutlich niemals mehr wiedersehen würde. Beim Abschied hatte sie bittere Tränen geweint.

Der Vater von Klaus, Hubert und Wolfgang lebte mit seiner neuen Familie im Westen Deutschlands. Irgendwie erfuhr er, dass seine Söhne doch noch leben. In einer Zeitung inserierte er: Vater sucht seine zwei Söhne. Das er drei Söhne hatte, wusste der Mann gar nicht. Damals gab es die sogenannte Zusammenführung. Das Rote Kreuz sorgte dafür, dass Kinder und Eltern wieder zusammengeführt wurden. So auch bei Wolfgang, Hubert und Klaus. Das Überbringen der Kinder war da noch einfach, denn die Mauer wurde ja erst am 13.08.1961 um 1:00 Uhr errichtet (und erst am 9.11.1989 wieder „eingerissen).

Klaus, Hubert und Wolfgang lebten von da an bei dem Vater Fritz Schulz in Hiltrup am Steinersee. In einer schäbigen Hütte mit nur 3 Zimmern lebten sie mit 9 Personen. Die neue Frau vom Vater hatte bereits 5 Kinder. Sie war nun die Stiefmutter von Klaus, Wolfgang und Hubert. Ihr Vorname war Hildegard. Einer ihrer Söhne hatte sich tot gefahren. Einer hieß Andreas, doch den lernte Klaus nie kennen. Zusammen bekamen diese Frau, die wesentlich jünger war als der Vater von Klaus, Wolfgang und Hubert nochmals vier Kinder. Die Kinder waren alle Halbgeschwister. Da gab
es Traudi, Werner, Hannelore und Marion. Marion, stets von allen nur Muppi genannt, war die Jüngste. Sie war der Liebling vom Vater. Sie wurde in der Hütte in Hiltrup am Steinersee geboren.

Es stellte sich bald heraus, dass die drei Brüder eine böse Stiefmutter bekommen hatten. Klaus und Hubert gingen nun in die Schule nach Hiltrup. Wolfgang ging zusammen mit seinem Vater in einem Backsteinwerk arbeiten. Hier wurden aus Kalksandstein Mauersteine hergestellt. Das war eine sehr schwere Arbeit. Hubert beendete die Schule und fing bald darauf eine Lehre als Maler und Tapezierer an. Diese Lehre hatte er aber nicht beendet. Hubert machte später lieber eine Lehre im Bergbau. Diese beendete er erfolgreich.

Doch Hubert veränderte sein Berufsleben viel später noch einmal. Er wurde Berufssoldat und das 12 Jahre lang. (Hubert wurde schwer krank und den Rest seines Lebens verbrachte er in einem Rollstuhl.)
Klaus dagegen musste nach der Schule zu Hause alle möglichen Arbeiten verrichten. Die Stiefmutter verlangte von Klaus: Kartoffel schälen, die Kinder aufpassen, Bruchholz musste Klaus im Wald aufsammeln und die großen Holzstücke wurden von ihm durchgesägt oder klein gehackt.
Einmal bekam Klaus zum Geburtstag vom Vater und der Stiefmutter einen Plastikball geschenkt. Dieser Ball war aufgemacht wie ein richtiger Fußball. Klaus freute sich so sehr über den Ball. Doch diese Freude hatte das arme Kind nur einen Tag lang. Als der Vater arbeiten war, nahm die Stiefmutter eine Schere und stach diese vor den Augen des Jungen in den neuen Ball. Sie konnte die Freude, die Klaus an dem Ball hatte, nicht ertragen. Sie quälte den Jungen anscheinend gerne. Sie schlug Klaus auch oft. Klaus konnte von seinem Vater keine Hilfe erwarten, denn der Vater gehorchte dieser Frau aufs Wort. Sie war dominant und unberechenbar. Außerdem schlug der Vater auch gern mal zu. Als Klaus 12 Jahre alt war, musste er immer nach der Schule in einer Gärtnerei arbeiten. Er arbeitete dort täglich 2 Stunden. Der Stundenlohn betrug 50 Pfennig. Die Stiefmutter wartete immer auf Klaus, damit sie ihm die 1 DM sofort wegnehmen konnte. Was für eine herzlose Frau und wie muss man sich als Kind bei einer solchen Stiefmutter fühlen?

Als Klaus 13 Jahre alt war, zog die Familie um nach Ostbevern-Brock bei Telgte. Hier wohnte die Familie auf einem Bauernhof. Hier war viel Platz für Mensch und Tier. Es gab da ein Schwein, eine Katze, Enten, Gänse und Hühner. Da war ein Stall, eine halb offene Scheune und unglaublich viel Arbeit. Mit 13 1/2 Jahren verließ Klaus die Schule. Als Klaus etwa 14 oder 15 Jahre alt war, beschlossen er und sein Bruder Hubert (etwa 17 Jahre) von zu Hause wegzulaufen. Der älteste Bruder Wolfgang wusste nichts von dem Vorhaben seiner Brüder. Er arbeitete zu der Zeit im Bergbau in Gladbeck. Hubert besaß eine Wochenkarte für den Zug. Hubert und Klaus flüchteten vor der herrischen Stiefmutter und dem uneinsichtigen Vater nach Münster. Die Beiden wollten sich alleine durchschlagen. Sie flohen an einem Sonntag. Die Stiefmutter hatte trotzdem bald bemerkt, dass die Jungen weg waren. Sie schickte den Vater los, damit er sie wieder nach Hause holte. Sie brauchte die Jungs, damit sie ihnen das schwer verdiente Geld abnehmen konnte. Besonders Klaus konnte man schön ausnehmen.Er war eine fleißige, billige Arbeitskraft. Hubert wurde nie so mies von der Stiefmutter behandelt. Vermutlich, war er schon zu alt und er wusste sich auch zu wehren. Aber Hubert kam mit dem Vater überhaupt nicht zurecht. Wenn Wolfgang die Familie besuchte, wurde dieser wie ein Prinzchen empfangen. Er merkte nicht, wie sein kleiner Bruder litt. Klaus sagte aber auch niemandem, dass er unglücklich war. Nur Hubert ahnte, was Klaus fühlte.

Klaus und Hubert waren also in Münster. Am Montagmorgen ging Hubert wie gewohnt zur Arbeit als Maler und Tapezierer. Klaus suchte sich unterdessen Arbeit im Straßenbau. Sein neuer Chef hieß nun Fritz Schiemann. Der Chef sagte zu Klaus: „Wenn dein Bruder so fleißig ist wie du, dann kann er auch für mich arbeiten." Hubert schmiss seine Lehre sofort hin und arbeitete nun zusammen mit Klaus im Straßenbau. Die Beiden schliefen in einem Bauwagen und genau da fand der Vater sie auch. Er holte Beide zurück nach Hause. Hubert und Klaus arbeiteten aber weiterhin für Herrn Schiemann im Straßenbau. Klaus hatte später eine abgeschlossene Lehre als Pflasterer in der Tasche. Hubert war irgendwann seinem Bruder Wolfgang gefolgt. Nun arbeiteten sie gemeinsam in Gladbeck im Bergbau. Klaus wollte mit ihnen gehen, doch da er noch minderjährig war, musste der Vater erst den neuen Lehrvertrag unterschreiben. Doch das tat der Vater nicht. Klaus musste bei seinem Vater bleiben. Aber auch dieses Mal wollte vor allem die Stiefmutter, dass Klaus bei ihnen blieb. Klaus war das gar nicht recht, doch er konnte nichts dagegen tun. Klaus und sein Vater fuhren im Sommer mit dem Fahrrad 20 km nach Münster um im Straßenbau zu arbeiten. Im Herbst und Winter fuhren sie mit dem Zug. Den Lohn den Klaus beim Straßenbau bekam, musste er bis auf 5 DM Taschengeld der Stiefmutter geben. Klaus hatte praktisch seine Stiefgeschwister unfreiwillig unterstützt und großgezogen.

In Ostbevern Brock lernte Klaus einen Hundezüchter kennen. Der Mann war alt und Klaus half ihm, wo immer er konnte. Eines Tages versprach der Züchter Klaus: „Wenn die Schäferhündin ihre Welpen bekommt, darfst du dir einen Hund aussuchen. Klaus nannte seine Hündin Senta. Sie war sein ein und alles. Einmal war das jüngste Kind, die Marion, verschwunden. Alle suchten nach ihr. Man fand sie schließlich schlafend in der Hundehütte bei Senta. Nie hätte der Hund dem kleinen Mädchen etwas getan, da war sich Klaus ganz sicher. Klaus hoffte die Stiefmutter würde seinen Hund gut versorgen, denn er hatte nicht so viel Zeit für seinen Hund. Er musste ja arbeiten. Die Stiefmutter hatte aber keine Lust sich um das Tier zu kümmern und sie dachte wieder einmal nur an Geld. Deshalb verkaufte sie die schöne Hündin für 15 DM an einen skrupellosen Züchter. Der hatte vermutlich aus der Hündin eine Gebärmaschine gemacht. Klaus besaß die liebe Senta nur 1 1/2 Jahre. Klaus hasste seine Stiefmutter für ihre Unverfrorenheit, ihre Unverschämtheit. Er war unendlich traurig, denn er sah seine Senta nie wieder. Es kam der Tag, an dem Klaus 18 Jahre alt wurde.

Der Vater wollte Klaus aus irgend einem Grund schlagen. Da nahm Klaus seinen Vater in den Schwitzkasten und drückte ihm langsam die Luft ab. Von da an hatte der Vater verstanden, dass die Zeiten der Schläge vorbei waren. Klaus war immer noch nicht volljährig. Das war man damals erst mit 21 Jahren. Doch niemand konnte Klaus nun aufhalten. Er ging einfach fort. Klaus arbeitete dann in Hiltrup bei der Firma Dahlhof - Baustoff und Kohlenhandel. Er wohnte bei der Familie Wuth. Klaus durfte zu Herrn und Frau Wuth — Tante Dora und Onkel Hans sagen. Klaus hatte Onkel und Tante sehr, sehr gern. Dora und Hans Wuth hatten vier Kinder und zwar ein Mädchen und drei Jungen. Klaus lebte etwa 1 1/2 Jahre bei Familie Wuth. Vater Hans Wuth wurde krank. Er litt an offener TB. Das war damals höchst ansteckend. Niemand in der Familie steckte sich bei Hans Wuth an, weil sich alle von ihm fern hielten. Außer Klaus!

Die kleine Marion hatte mitbekommen, wie die Erwachsenen sich über Klaus unterhielten. Marion erinnert sich: „Jemand sagte, dass Klaus nun auch bald sterben müsse. Ich liebte meinen Halbbruder Klaus und ich wollte sofort zu ihm. Ich rannte also los. Unser Vater Fritz schrie: „Muppi bleib hier!" „Vater schnappte sich ein Fahrrad und fuhr mir hinterher. Ich war fast am Haus der Familie Wuth angekommen, da packte mich mein Vater am Kragen und steckte mich in den Einkaufkorb des Fahrrades. Ich wunderte mich darüber, wie grob mein Vater war. Er war sonst immer so sanft mit mir umgegangen. Ich konnte mich nicht bewegen, denn ich saß fest eingeklemmt wie in einer Mülltonne. Ich höre noch wie Vater rief: „Nichts wie weg von hier!" Dann sprang mein Vater auf das Fahrrad und fuhr mit mir hektisch weg, als sei der Teufel hinter uns her!"

Hans Wuth wurde nur 63 Jahre alt. Klaus hatte sich angesteckt und er wurde schwer krank. Man entfernte Klaus in einem Krankenhaus den linken Lungenflügel. Danach war Klaus für sehr, sehr lange Zeit in einem Sanatorium. Mit 21 Jahren ging Klaus nach Pfortsheim. Er arbeitete dort als Edelmetallschleifer bei der Firma Kohlbäcker. Gewohnt hat Klaus in Schömberg im Norden vom Schwarzwald. Schömberg war 20kmh entfernt von Pfortsheim.
Eine wahnsinnige Anstrengung die tägliche Fahrt mit dem Fahrrad von Schömberg nach Pfortsheim. In Schömberg lernte Klaus seine erste Ehefrau kennen.

Hubert Schulz, der ein sehr gut aussehender Mann war, lebte in Gladbeck. Er wurde als Berufssoldat sehr krank. Er bekam MS = multiple Sklerose. Diese Krankheit kam — „Gott sei Dank" , nach einer gewissen Zeit zu einem Stillstand. Es gab keine Verschlechterung, sogenannte Schübe mehr. So lebte er zufrieden mit seiner Frau Gerda, seiner Tochter Sabine und Enkelkind Dana in Gladbeck. Leider musste Hubert seine letzten Lebensjahre oft im Krankenhaus verbringen. Ein Leidensweg begann. Zum Schluss hatte er keinen Lebenswillen mehr. Er starb am 29. August 2009. Der älteste Bruder Wolfgang hatte Klaus von seiner Arbeit bei Babcock und seinem Wohnort Friedrichsfeld erzählt. Klaus beschloss auch nach Friedrichsfeld zu ziehen. Klaus arbeitete zunächst auch bei Babcock als Schlosser. Als Klaus 22 Jahre alt war, wurde seine Tochter Carola in
Spellen geboren. Damals gab es ein Krankenhaus in Spellen. Klaus schulte später noch einmal um. Er wurde Dreher bei der Firma K H D in Friedrichsfeld. Seine Lebenssituation änderte sich und er zog nach Spellen. Eine Scheidung folgte und die Tochter lebte weiterhin bei ihrem Vater. 1982 zog Klaus zusammen mit der Tochter in eine große Wohnung nach Voerde. Erst als die Tochter heiratete, zog Klaus ein letztes mal um. Er wohnte nun auf der Steinstraße. Klaus wurde Opa.
Er kümmerte sich viele Jahre rührend um das Enkelkind.
1995 lernte Klaus seine zweite Frau kennen. Am 20.07.2000 heirateten die beiden. Seine neue Frau war 21 Jahre jünger als er. Die Ehe war harmonisch und schön. Keiner in der Verwandtschaft hätte gedacht, dass diese Ehe fast 13 Jahre hielt. Es wären noch mehr Jahre geworden, wenn Klaus nicht so früh gestorben wäre. Insgesamt waren die Beiden aber schon 19 Jahre zusammen. Diese Ehe blieb kinderlos.

Klaus Dieter Schulz starb viel zu früh im Alter von 69 Jahren. Am 26.04.2013 rief seine Frau den Notarzt an und Klaus kam ins Krankenhaus. Am 4.05.2013 starb Klaus Dieter Schulz im evangelischen Krankenhaus in Dinslaken an Herzschwäche! Keiner der drei Brüder erreichte das siebzigste Lebensjahr.

Das Trio „ Die Wohedies" wurde 1984 gegründet.

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Vierzehn Jahre lang machten die drei Männer wundervolle, handgemachte Tanzmusik. Die Männer waren: Wolfgang Schulz, Klaus - Dieter Schulz und Helmut Jung. Als Wolfgang Schulz plötzlich starb, wollte und konnte sein Bruder Klaus - Dieter keine Musik mehr machen. Wolfgang Schulz starb in den Armen seines Bruders Klaus - Dieter nach einem Auftritt. Das war am 28.08.1994 Schlagzeug: Helmut Jung; Frontmann (Sänger) und Gitarrist: Klaus - Dieter Schulz; Keyboard, Akkordeon, Mandoline und Mundharmonika: Wolfgang Schulz. Geprobt wurde in der Schule in Mehrum.

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Was hätte Klaus Dieter Schulz gerne noch in seinem Leben getan oder erlebt:
Klaus hätte gern außer seiner Tochter noch einen Sohn gehabt. Hätte er den Namen aussuchen dürfen, so hätte der Junge den Namen: „Kai" bekommen. Sein größter Traum: ein Eigentum mit vielen Tieren zu besitzen. Das einzige Urlaubsziel, das Klaus wirklich faszinierte war Australien. Er wollte eine gewissen Zeit einmal wie ein Aborigine leben. Auch ein unerfüllter Traum blieb: ein Urlaub in Mecklenburg — Vorpommern. Klaus wollte zu gern seiner Frau zeigen, wo seine Wurzeln waren und in Erinnerungen schwelgen.
Klaus — Dieter Schulz wäre gern älter geworden, aber nicht mit einem so kranken Körper! Er musste in seinem Leben zu viele Schmerzen aushalten und er vertraute keinem Arzt mehr.
Er hätte so gern einmal einen Hummer gegessen!

Erzählung von Klaus — Dieter Schulz im Dezember 2012; sowie von Halbschwester Marion Behrendt geb. Schulz. Aufgeschrieben von Ehefrau Sabine Schulz, geb. Rähse

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