Wo bin ich geboren, was ist meine Heimat?

An einem kalten Wintertag am 3. Januar 1935 wurde ich in Ortelburg/heute „Szytno“/Ostpreußen im wunderschönen seenreichen Masuren geboren und habe dort bis zu meinem 10. Lebensjahr eine behütete Kindheit trotz der Kriegsjahre bis Januar 1945 erlebt.

Warum habe ich sie verlassen und wie alt war ich damals?

Kurz nach meinem Geburtstag Mitte Januar 1945 musste ich sie mit Mutter, dreijährigem Bruder, Oma, drei Tanten und einem zweijährigen Cousin verlassen, da die Russen bereits in Ostpreußen Angst und Schrecken verbreiteten. Von Massakern in Goldap las ich bereits in der Zeitung.

Warum bin ich nach Voerde gekommen?

Wir gingen auf die einjährige Reise ins Ungewisse mit einem Militär-LKW bis Allenstein und von dort mit einem Verwundeten-Transportzug bis Thorn und weiter über Nebenstrecken wegen des fast geschlossenen Kessels der russischen Armee bis Berlin. Einige Gepäckstücke gaben wir am Anhalter Bahnhof in Verwahrung, da wir erst am anderen Ende der zerbombten, deutschen Hauptstadt mit der S-Bahn bis nach Potsdam-Babelsberg fahren konnten. Eine Tante mütterlicherseits lebte dort seit ihrer Heirat. Hier sag ich und erlebte ich erstmalig Bombennächte und den Einmarsch der Roten Armee. Die Hoffnung, dass Potsdam nicht in russischer Hand bleibt, erfüllte sich leider nicht.

Einige Schicksalsschläge verzögerten unsere weitere Flucht in den Westen, so dass wir erst im September mit einem Güterzug bis nach Mecklenburg kamen. Dort in Lübstorf bei Schwein lebten wir ca. zwei Monate. Wieder wie Vieh im Güterzug fuhren wir später bei Frost und Schnee in den ersehnten Westen bis nach Bad Segeberg in Schleswig-Holstein. Dort erlebten wir eine Massenabfertigung der Flüchtlinge und menschenunwürdigen Bedingungen und wurden in Lägerdorf zwangsweise bei einer Familie Winkler einquartiert. Hier lebten wir unter schlechtesten Bedingungen und fühlten und sehr unwillkommen.

Meine Mutter wandte sich schon früh an den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes, was mein Vater ebenfalls tat. So erfuhren wir bereits Ende Januar 1946, dass mein Vater in Götterswickerhamm im Kreis Dinslaken am Niederrhein lebte. Schon Ende Februar 1946 holte mein Vater uns in Lägerdorf ab. Wir fuhren diesmal mit einem Personenzug unserer neuen Heimat entgegen und kamen bei Dunkelheit, nicht in Götterswickerhamm, sondern in Voerde/Niederrhein an einem kleinen Dorfbahnhof an. Zu Fuß wanderten wir durch das stelle, kleine Dort an einem zerfallenen Schlösschen vorbei an den Rhein, von dem ich im Radio hörte. Viele Sendungen aus Köln und all die Rheinlieder waren mir bekannt. Oft dachte ich als Kind, ob ich diesen viel besungenen Fluss wohl einmal sehen würde.

Warum bin ich in Voerde geblieben?

Für mich ein denkwürdiges Erlebnis als wir den Unteren Hilding auf den rauschenden Fluss zu liefen. Ich war fasziniert von diesem mächtigen Strom. Mein Vater erklärte das mit dem Hochwasser, welches zu dieser Zeit gefährlich stieg und Nachtwachen am Deich nötig werden ließ. Endlich erreichten wir ein großes Gasthaus, das „Haus Rheinfähre“, welches es heute an der Dammstraße nicht mehr gibt. Dort unten auf der Kegelbahn fanden wir unser erstes winziges Heim. Eine kleine Küche und ein Wohn-Schlafzimmer, das mein Vater geschaffen hatte. Hier auf dem Rhein war mein Vater mit seinem Sturmboot eingesetzt und in diesem Gasthaus einquartiert. Als Handwerker wurde er als einer der ersten aus dem Internierungslager in die britische Zone entlassen. Diese Adresse war für ihn Götterswickerhamm.

Was fehlt mir heute hier?

In diesem wunderschönen Rheindorf fühlten wir uns herzlich willkommen. Hier erlebte ich meine Jugendzeit, zwar in Armut, aber unvergesslich schön bis zum 31. März 1954, allerdings in einem Anbau des „Hauses Rheinfähre“, welches Vater zu ersten kleinen Wohnung umbaute und der nach unserem Umzug 1954 in das Siedlungshaus in die Fasanenstraße in Voerde weiter als Wohnung genutzt worden ist.

Hier fühlten wir uns vom ersten Tag an wohl, und ich bin nach meiner Heirat in Voerde geblieben und wohne seit 1958 im Grenzgebiet Spellen/Friedrichsfeld in der Nähe des Gymnasiums. Nach diesen durchlebten entbehrungsreichen Jahren fehlt mir hier nichts, denn größere Städte sind schnell zu erreichen und der wunderschöne Niederrhein wurde mir wahrlich eine neue Heimat, die ich freiwillig nicht aufgeben werde.

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