Odysseus brauchte 10 Jahre um in die Heimat zu kommen.
Mein Weg in die neue Heimat dauerte 20 Jahre.

Begonnen hat alles am 8.12.1944. Durch die Kinderlandverschickung wurde ich als 8-jähriger aus Krickerhau (heute Handlova) in der Slowakei nach Mähren ins Reich verschickt. Die Mutter brachte mich, sehr traurig, zum Zug und verabschiedete sich mit vielen Tränen. Uns Kindern war es gar nicht klar, was mit uns geschah. Keiner hat damals geahnt, dass wir unsere alte Heimat niemals mehr sehen würden.

Im Zug war alles sehr lustig. Es schien als wenn wir nur einen Ausflug unternehmen würden. Lediglich an der Grenze zum Reich wurden wir aufgefordert uns ruhig zu verhalten, da wir ja nun ins Reich einreisen.

Der Zug führ über Olmütz bis Freudenstadt im damaligen Mähren. Von dort kamen wir mit dem Bus in ein kleines Dörfchen namens Altvogelseifen. Dort wurden wir schon von einigen Frauen und Müttern erwartet.

Eine jüngere, nette Dame wollte mich als Pflegekind haben. Ich aber entschied mich für die ältere Dame die sich ebenfalls um mich warb und als Pflegekind haben wollte. Dadurch kam ich in eine Familie wo der Hausherr eine Wagen- und Drechslerwerkstatt betrieb. Das Ehepaar hatte eine 14-jährige Tochter. Der Sohn war im Krieg gefallen. In dieser Familie erlebte ich meine ersten Weihnachten fern der Heimat und meiner Familie. Ich wurde sehr liebevoll aufgenommen und verlebte dort für die damaligen Verhältnisse eine schöne Zeit. Es gab viel Schnee in der Gegend. Mein Pflegevater machte mir ein Paar Skier und so lernte ich das Skifahren, welches ich nach einiger Zeit dank der aufopfernden Hilfe der Tochter gut beherrschte.

So verging die Zeit bis eines Tages im Februar 1945 meine Mutter vor der Tür stand um mich abzuholen. Sie hatte sich in Krickerhau einen geschlossenen Eisenbahnwaggon organisiert und hatte alles was nötig war an Möbeln und Verpflegung mit einigen Bekannten auf die Flucht begeben, denn die russische Armee sollte nicht mehr weit entfernt sein.

Also hieß es wieder unter Tränen Abschied nehmen und mit Mutter im Viehwagen weiterreisen. Die Fahrt sollte bis Karlsbad gehen wo Verwandte meines Onkels für uns eine Wohnung bereit hielten. Nun war ja die Entfernung von Olmütz nach Karlsbad etwas mehr als ein Katzensprung und es war Krieg. Ich weiß nicht mehr wie viele Luftangriffe wir überstanden, wir im Graben lagen, während die Flugzeuge über uns hinwegdonnerten und den Zug beschossen. In dieser Zeit habe ich gelernt zu beten, die Jungfrau Maria zu bitten den Mantel auszubreiten und uns Schutz zu gewähren. Sie hat uns beschützt, denn wir kamen wohlbehalten nach Wochen in Karlsbad an. Meine Mutter und die Verwandten konnten sofort den Waggon entleeren und alles in die Wohnung bringen. Das Glück war uns wieder beschieden. Denn am 3. Tag nach der Ankunft wurde der Bahnhof vollständig zerstört. Es ging noch ein paarmal in den Luftschutzkeller wenn die Sirenen heulten und dann die Bomben folgten. Und wieder half uns das Gebet zur Muttergottes. Wir blieben unverletzt und gesund. Dann holte meine Mutter die Schwester aus Harachsdorf nach Karlsbad und etwas später kam auch mein Vater, so dass die Familie wieder komplett beisammen war.

Es war dann bei einer kleinen Familienfeier als plötzlich die Nachricht kam, dass die amerikanische Armee in Karlsbad einmarschieren sollte. Es kamen aber die Russen. Eine schlimme grausame Zeit stand uns bevor. Die Hausherren im Erdgeschoss wurden aus der Wohnung vertrieben. Wir hatten das Glück, dass mein Vater die slowakische Sprache beherrschte. So wurden wir quasi als Freunde angesehen und sind somit glimpflich davongekommen. Ende des Jahres 1945 wurde wieder umgezogen. Wir kamen nach Dolni Jiretin und fanden Unterkunft in einer Kolonie. Mein Vater fand Arbeit in einer Zeche als Bergmann. Der Verdienst war nicht üppig, aber er reichte zum Leben. Wir brauchten die ersten Jahre nicht zu hungern, mussten aber mit der Verpflegung sparsam umgehen.
Für mich begann eine schwierige Zeit. In der Heimat hatte ich die ersten 2 Klassen in der deutschen Volksschule besucht. Nun wurde ich in eine tschechische 4. Klasse gesteckt. Kein Wort tschechisch konnte ich sprechen. Wir wurden als deutsche Schweine beschimpft. Die tschechischen Kinder aßen Apfelsinen und streckten uns die Schalen zum essen hin. Es war für sie herrlich, Schokolade vor unserer Nase zu schleckern. Was da in der Schule gelehrt wurde, waren im wahrsten Sinne böhmische Dörfer für mich. So fiel auch das erste Zeugnis in der Volksschule dementsprechend aus. (Alle Fächer hatten die Note 5).

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Also musste ich die 4. Klasse wiederholen. Dann ging es immer weiter aufwärts. Die nächsten Klassen habe ich dann schon mit lauter Einsen bestanden. Die tschechische Sprache wurde erlernt und es dauerte nicht lange, da wurde ich ein Vorzugsschüler. Der Direktor ließ mich immer zum Geburtstag Stalins bei der Feier Gedichte vortragen. So habe ich von meinem 9. bis zum 14. Lebensjahr viel vom Kommunismus lernen müssen und wurde bald selber ein kleiner Kommunist. Aber dann schob meine Mutter den Riegel vor. In der ganzen Zeit musste ich jeden Tag ein Evangelium in deutscher Sprache aus dem Evangelienbuch abschreiben. Zum Glück!

Denn nach fünf Jahren hieß es wieder umziehen. Und zwar diesmal mit Hilfe meines Onkels, nach Deutschland. Und wieder organisierte meine Mutter einen Viehwaggon in dem mit einer befreundeten Familie alles Mobiliar mitgenommen werden konnte. Nach 14 tägigem Aufenthalt im Lager in der Stadt Eger wurden wir dann mit einem Transport nach Deutschland ausgewiesen.

So betraten wir im Februar 1950 deutschen Boden. In Furth im Walde in einem Lager wurden wir untergebracht. Folgendes Erlebnis habe ich nie vergessen: Mein Onkel hatte schon 20 DM für uns ins Lager geschickt. Von diesem Geld kaufte uns Kindern unsere Mutter als 1. eine Tafel Schokolade. Nach 5 Jahren wieder ein Stückchen Schokolade!

Nach kürzerem Aufenthalt in Furth im Walde ging es weiter, wieder mit einem Transport ins Flüchtlingslager nach Siegen. Unterwegs hatten wir in Frankfurt/Main eine kurze Pause. Hier hat uns der Onkel schon erwartet. Man kann sich wohl vorstellen, was das für ein Wiedersehen nach 5 Jahren war.

In Siegen verbrachten wir einige Zeit in einem Lager, das wohl früher als Kaserne gedient hatte, mit vielen anderen Flüchtlingen. Es war eine Zeit der Hoffnung, endlich eine Endstation zu erreichen.
Nach ein paar Monaten wurden wir dann ins Sauerland, in ein Dorf namens Meggen verschickt. Am Ende einer Straße die Faulebutter hieß, am Rande des Waldes, bekamen wir 3 Zimmer in einem Haus welches einem Bauunternehmer gehörte, dem nebenan ein Steinbruch gehörte, in welchem mein Vater Arbeit bekommen hat. Diese Beschäftigung war aber nicht von langer Dauer. Mein Vater hörte dann von Landsleuten in Dortmund, dass dort Bergmänner gesucht wurden. So fand mein Vater Arbeit in einer Zeche namens Kaiserstuhl. Gewohnt hat er in dieser Zeit bei Landsleuten.

Wir blieben in Meggen. Meine Mutter kümmerte sich um die Familie und ernährte sie von dem Geld das der Vater regelmäßig schickte. Sie errichtete neben dem Haus einen Garten wo Gemüse und Mohn angebaut wurde. Die einheimischen Bewohner wunderten sich über die Blumenpracht und fragten immer was denn das für Blumen wären. Nach der Ernte backte die Mutter einen herrlichen Mohnkuchen daraus. (Heute hätte man sie wahrscheinlich wegen Drogenanbau verhaftet.)

Meine Schwester bekam eine Anstellung als Zimmermädchen in einem Hotel im Nachbarort Bielstein. Ich musste, da ich in der Tschechei bereits die Mittelschule besucht hatte, unbedingt auf Mutters Geheiß wieder in eine Mittelschule. Nicht nur, dass diese Schule im Nachbarort Grevenbrück war; dass ich als fast perfekter Tscheche auch nur sehr schlecht die deutsche Sprache beherrschte, sondern auch kein englisch konnte, machte das Fiasko komplett und den Besuch der Volksschule in Meggen nötig.

In Erinnerung bleibt eine Begebenheit: Es wurde eines Tages in der Mittelschule eine Mathematik-Arbeit geschrieben. Die Aufgaben konnte ich alle, da ich in der Tschechei den Stoff schon längst erlernt hatte. In gewohnter Weise, wie gelernt, schrieb ich eine saubere und ordentliche Arbeit. Die Lehrerin teilte nach der Prüfung der Arbeit folgendes mit: Sie hätte zum ersten mal eine 1 in einer Mathe-Arbeit vergeben, weil 1. alles richtig sei und 2. sie noch nie eine derart saubere und ordentliche Arbeit gesehen hätte.

In der Volksschule war ich natürlich ein Fremder – ein Flüchtling, mit dem keiner am Anfang etwas zu tun haben wollte. Nach und nach besserte sich die Annäherung immer mehr, trotz meines gebrochenen deutschen Wortschatzes mit tschechischem Akzent. In den Ferien musste ich zu meinem Onkel nach Alsbach an der Bergstraße. Er war Lehrer und hat sich meiner angenommen. So habe ich dann schnell fleißig die deutsche Sprache beherrscht. Durch sehr vieles Lesen verbesserte sich mein Wortschatz gewaltig. Bereits 1951 wurde ich offiziell aus der Volksschule entlassen. Habe dann freiwillig noch ein Jahr die Volksschule besucht. 1952 begann ich die Tischlerlehre bei einem Tischlermeister in Grevenbrück. 1 Jahr dauerte dort meine Lehre, denn mein Vater bekam eine Neubauwohnung in Dortmund zugewiesen.
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So kam die nächste Station: Dortmund. In Dortmund habe ich zunächst meine Tischlerlehre fortgesetzt. Nach einem Monat war aber die Firma pleite. So kam ich an meine dritte Lehrstelle und den fünften Meister. Während des dritten Lehrjahres verstarb der Meister. Ich konnte die Lehre trotzdem dort beenden und die Gesellenprüfung mit Erfolg ablegen.

Mittlerweile hatte mein Onkel Erkundigungen über Weiterbildungsmöglichkeiten für mich eingeholt. So habe ich dann von 1955 bis 1958 in Abendschulen das „Einjährige“ erfolgreich bestanden. Dieses und ein halbjähriges Praktikum als Maurer brauchte ich für mein Studium an der Staatl. Ingenieursschule in Essen.

In Dortmund waren sehr viele Landsleute wohnhaft. Es bestand dort eine Landsmannschaft der Karpatendeutschen. Bei einer Zusammenkunft der Landsleute in dieser Landsmannschaft lerne ich meine spätere Frau kennen und bildete in der Volkstanzgruppe mit ihr ein Paar. Mit der Volkstanzgruppe haben wird dann andere Landsmannschaften bei Landestreffen und Weinlesefesten besucht. So kam ich zum ersten Male nach Voerde. Voerde, ein kleines Dorf am Niederrhein gefiel mit beim ersten Aufenthalt ganz und gar nicht. Hier war der erste Gedanke: nicht begraben zu werden. (Wie das Schicksal so spielt.) Durch die vielen Besuche bei Landsmannschaftstreffen, änderte sich aber diese Meinung ganz schnell.

Von Dortmund aus habe ich dann 1958 mein Ingenieurstudium in Essen begonnen. Das hieß jeden Tag mit dem Zug nach Essen und zurück. Der Lohn war die bestandene Abschlussprüfung als Ingenieur für Hochbau. Zu Dortmund gibt es auch schöne Erinnerungen. 1953 habe ich mein erstes großes Fußballspiel in der Kampfbahn Rote Erde gesehen. Wie es das Schicksal so wollte, zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04. Seitdem bin ich treuer Anhänger des BVB. Ich habe drei deutsche Meisterschaften erleben dürfen. Eine davon 1957 in Hannover beim 4:1 Sieg gegen den HSV.

Meine Schwester hat dann 1959 einen Landsmann aus Voerde geheiratet. So wurde Voerde noch bekannter. Meine Schwester und mein Schwager haben dann meinen Eltern ein Grundstück in Voerde besorgt. Dort haben wir dann gemeinsam ein 2-Familienhaus gebaut. Da wir viel Eigenleistung eingeplant hatten, wurde 1 Jahr lang von Dortmund nach Voerde gefahren. Die Eltern konnten dann 1963 ins neue Haus einziehen. Mein Weg dauerte noch ein Jahr länger. 1961 traf ich mich wieder mit meiner Volkstanzpartnerin von früher. 1962 haben wir uns verlobt. 1963 haben wir geheiratet und sind dann 1964 nach Fertigstellung unserer Wohnung in Voerde, unserer neuen Heimat gelandet und sesshaft geworden.

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